Did I saw you before...?

Mit dem Schlüssel in der Hand trat Eliam auf die Tanzschule zu. Heute hatte er keine Gruppen, sondern einen Tag an dem er auch Einzelunterricht gab. Immerhin wünschten dies sowohl Eltern, als auch die Kinder. Er selber nahm jedoch nur diejenigen an, die mehr oder weniger auch hier sein wollten. Testen konnten sie alle, doch war es für ihn leicht festzustellen, wer das Tanzen liebte und wer nicht. Es hieß nicht, dass diese Person besonders talentiert und gut sein musste und wer leicht aus dem Takt geriet war automatisch aus. Wie auch immer die Tanzschritte am Ende aussahen, für Eliam zählte nur eins: Das Feuer in den Augen. Er wollte Leidenschaft sehen, Spaß an der Sache. Seine Schüler sollten Freude daran haben und an sich wachsen und nicht durch Zwang hier stehen, weil die Eltern es so sich vorstellten. Solche Kinder weigerte er sich strickt zu unterrichten, wusste er aus eigener Erfahrung, dass dies einfach nur nach hinten gehen konnte. Dachte er daran, wie er selber versucht hatte den Traum seines Vaters als Trainer zu leben – es ging einfach nicht. Nein, wer bei ihm zukünftig unterrichtet werden sollte, der musste aus freien Stücken hier sein. Alles andere würde mit der Zeit von selbst kommen. Eliam hatte Zeit für seine Schüler und sah sich selber als ein strenger, aber gerechter Lehrer. Wer ihm beweisen konnte es ernst zu meinen wurde belohnt. Alle anderen – das erklärte sich fast von selbst.
Mal sehen, was mein Schützling heute ist... Ein Freiwilliger, oder ein gezwungener Kandidat. Von den Informationen der Anmeldung hatte er nur folgende Daten: Nevio, 17 Jahre alt. Er schloss die Tanzschule auf, betrat den Flur von dem beide Umkleidekabinen abgingen – für Jungen und für Mädchen – und die Halle. Ebenso gab es angrenzend an die Umkleiden noch die Duschen, jedoch gingen die meisten nach Hause um sich dort frisch zu machen. Er selber ja auch. Und ebenso kam er selber meistens in seinen Sportklamotten, wechselte nur seine Schuhe. Leise vor sich hin summend bereitete er alles für den Unterricht vor: Die Musikanlage wurde aufgebaut, das Deckenlicht wurde eingeschaltet. Die Vordertür hatte er offen gelassen, war er selber noch zu früh. Sein Schüler sollte erst in gut zehn Minuten hier sein. Noch also Zeit, kurz das Handy zu kontrollieren. Und wie gedacht war dort eine Nachricht von seinem festen Freund. Eliam schüttelte leicht den Kopf, musste aber lächeln. So weit war die Tanzschule von ihrem gemeinsamen Zuhause nicht entfernt und dennoch hatte Lisias es nicht lassen können. Eliam schickte nur einen Kuss-Emoji zurück. Alles andere würde der Sänger bekommen, wenn er wieder Zuhause war.
Gerade, als er das Handy verstaut hatte, vernahm er hinter sich Schritte. Sofort drehte Eliam sich um und musterte den weißhaarigen Jugendlichen, der da vor ihm im Türrahmen stand. Langsam kam er auf ihn zu; der Blick neugierig, fragend und musternd. „Hi.“, fing er an, als er vor ihm zum Stehen kam. „Du musst Nevio sein, nicht wahr?“

Nevio

Warum hatte Nevio sich auf dieses Spielchen eingelassen? Die Antwort auf diese Frage war so einfach wie klar: Seine Hormone hatten seine pubertären Körper im Griff. Rin hatte vorgeschlagen, doch eine Runde Strippoker zu spielen mit dem Zusatz, dass der Verlierer etwas tun musste, was der Gewinner bestimmte. Ohne Einwände. Die Chance, einen Blick auf die schöne zarte Haut seiner attraktiven On-/Off-Beziehung zu werfen, wollte der Weißhaarige sich nicht entgehen lassen. So hatte er zugestimmt und das Spiel nahm seinen Lauf. Zunächst lief es gut, viele Kleidungsstücke fielen und nur noch wenige Teile trennten Nevio von seinem heiß ersehnten Ziel. Doch dann wandte sich das Blatt, Rin gewann die Oberhand und letztlich auch das Spiel. Ihm wurde eine heiße Nacht verwehrt und musste nun auch noch das erfüllen, was seine Freundin von ihm verlangte. Rin würde ihre Strafe schon noch bekommen! Dafür, dass er Tanzunterricht nehmen sollte, würde er sich definitiv revanchieren.
Die blauen, klaren Augen des jungen Mannes machten keinen Hehl daraus, dass sein Weg ihn nicht freiwillig in diese Tanzschule geführt hatte. Wäre er nicht Jemand, der sein Wort hielt, würden ihn keine zehn Ponitas hierher führen können. Es waren zwar nur wenige Stunden, die er nehmen sollte, doch genügte das, um Rin eins auswischen zu wollen. Rache war bekanntlich süß! Doch diese Revanche würde warten müssen. Nevio betrat die Tanzschule, die einem Herren namens Eliam Sonozaki gehörte. Bei ihm handelte es sich wohl um den Freund eines bekannten Sängers. Nicht, dass dies den Weißhaarigen wirklich interessierte.
Nevio musste nicht lange warten, bevor er seinen Tanzlehrer zu Gesicht bekam. Kaum einen Augenblick später stockte er, traute seinen Augen nicht. Sofort erschien ein Bild eines kleinen Jungen in seinem Kopf. Der Junge war dem Tanzlehrer wie aus dem Gesicht geschnitten, handelte es sich bei ihm lediglich um eine ältere Version. Das … konnte doch gar nicht wahr sein … Sein Onkel lebte? Wie wahr das möglich? Sein Dad hatte ihm doch versichert, dass Ilias gestorben war durch seine eigene Hand. Jehu hatte ihn doch von dieser Welt erlösen wollen. Doch nun stand er hier vor ihm und wollte ihm Tanzunterricht geben.
Klick.
Ein Schalter legte sich in Nevios Kopf um. Das Blut, welches sein Vater ihm vererbt hatte, geriet in Wallung und begann sein Handeln, Denken und Tun zu übernehmen. Das Blau seiner Augen schien zu Eis zu gefrieren. Wo zuvor noch Emotionen zu finden waren, fand sich nun nichts als tiefster Winter, der kein Überleben ermöglichte. Mit langsamen Schritten ging er auf den Älteren zu, die Lippen hielt er geschlossen und verschenkte keinen Gedanken daran, zu antworten. Durch seinen schlaksigen Körper wirkte er auf den ersten Moment nicht besonders gefährlich, doch die Aura, die ihn umgab, verlieh ihm doch etwas Bedrohliches. Alsbald zeigte sich jedoch auch, was für eine Kraft sich in seinen Muskeln verbarg. Nevio legte seine Hände um den weißen Hals Eliams und drückte diesen zu.
„Warum lebst du noch?“
Die Worte klangen unterkühlt und gleichzeitig doch so scharf, so dass man sich vor einem Schnitt fürchten musste. Die Bedrohung, die Nevio ausstrahlte, schien mit jedem vergangenen Augenblick anzusteigen. Wie konnte Ilias es nur wagen, immer noch auf dieser Welt zu wandeln? Jehu hatte ihn von seinem Schicksal erlöst, ihn von den irdischen Lasten befreit. So war sein Recht auf ein Leben an der Seite des Türkishaarigen verwirkt. Wie konnte er es nun nur wagen, einfach wieder aufzutauchen? Würde Jehu dies erfahren, würde seine Aufmerksamkeit nur auf Ilias liegen. Nevio konnte und wollte seinen Dad nicht mit einem anderen Blutsverwandten teilen. Es gab nur sie beide. Ihre Blutlinie teilte niemand Anderes. Niemand hatte das Recht dazu!